Steuerrechtliche Pflichten und Chancen der Insolvenzverwaltung

07. Oktober 2021 | Aus der Kanzlei

Wir fragten Rechtsanwältin Frauke Heier.

Frau Heier – kommt es oft vor, dass eine Insolvenz vermeidbar gewesen wäre, wenn die Geschäftsführung ihren buchhalterischen und steuerrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen wäre? Die berühmt-berüchtigte „Buchhaltung im Schuhkarton“?

[lacht] Diese Form der Aufbewahrung von Rechnungen und Quittungen gibt es tatsächlich immer noch. Aber in meinem Berufsalltag spielt sie zum Glück keine allzu große Rolle. Dennoch begegnen wir häufig Fällen, in denen die Geschäftsführungen von Unternehmen ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Mit anderen Worten: Wären Schuldner in der Vergangenheit ihren buchhalterischen und steuerrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen, wären zahlreiche Insolvenzen vermeidbar gewesen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ich war vor einiger Zeit als Insolvenzverwalterin einer GmbH-Schuldnerin bestellt, die im Bereich der Sicherstellung von Fahrzeugen für finanzierende Banken und Leasinggesellschaften sowie für Privatleute tätig war. Aufgrund von schwerwiegenden Erkrankungen der beiden Gesellschafter und Eheleute, von denen die Ehefrau zugleich auch zur Geschäftsführerin der Schuldnerin bestellt war, war es der Schuldnerin in der Vergangenheit nicht möglich, ihren buchhalterischen Verpflichtungen nachzukommen sowie die Bilanzen und erforderlichen Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2016 bis 2019 einzureichen.

Das Finanzamt hatte dafür wahrscheinlich kein Verständnis, oder?

Richtig. Es folgten erhebliche Zuschätzungen der Finanzverwaltung, welche von der Schuldnerin nicht entkräftet werden konnten und schließlich wegen einer Gesamtsumme in Höhe von rund € 258.000,00 zur Insolvenzantragstellung führten. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurde sogar eine Gesamtforderung in Höhe von über € 340.000,00 von der Finanzverwaltung zur Insolvenztabelle angemeldet.

Was konnten Sie als Insolvenzverwalterin in dieser Situation tun?

Man muss zunächst verstehen, dass der Insolvenzverwalter mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der auf ihn übergehenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Insolvenzmasse zu erfüllen hat. Für den Zeitraum nach der Verfahrenseröffnung wird dies regelmäßig kein Problem darstellen, da der Insolvenzverwalter die zugrundeliegenden Geschäftsvorfälle selbst auslöst und die entsprechen­den Dokumentationen anhand der ihm vorliegenden Unterlagen vornehmen kann.

Das hört sich zunächst sehr unkompliziert an.

Schwieriger gestaltet es sich für den Zeitraum vor der Verfahrenseröffnung in den Fällen, in denen die Buchhaltung des Schuldners nicht mehr aktuell geführt wurde, das Belegwesen brach liegt und die Buchhaltung aufgrund fehlender Informationen kaum oder auch gar nicht mehr rekonstruiert werden kann. In diesen Fällen kommt es aufgrund fehlender Bilanzierungen und der Nichtabgabe von Steuererklärungen häufig zu erheblichen Zuschätzungen seitens der Finanzverwaltung, welche nicht selten in Insolvenzantragstellungen münden. So auch in dem bereits erwähnten Fall.

In unserem Vorgespräch haben Sie angedeutet, dass es im konkreten Fall zu einem Happy End gekommen ist.

Durch eine Aufarbeitung der Buchhaltung der Vorjahre 2016 bis 2019, die Erstellung der Bilanzen und Nachreichung der erforderlichen Steuererklärungen ist es uns gelungen, die angemeldeten Forderungen der Finanzverwaltung nicht nur vollständig zu reduzieren, sondern auf Antrag auch einen Erlass der festgesetzten Säumniszuschläge in Höhe von über € 59.000,00 zu erwirken.

Chapeau – Ihre Arbeit hat sich für alle Beteiligten gelohnt!

Ja, denn schlussendlich kam es zu einer Steuererstattung in Höhe von über € 67.000,00 zu Gunsten der Masse. Aufgrund weiterer erzielter Verwertungserlöse führte unsere Arbeit zu dem Ergebnis, dass nicht nur eine 100%ige Quote an die Gläubiger ausgeschüttet werden konnte, sondern darüber hinaus gemäß § 199 InsO auch noch ein Überschuss in Höhe von über € 70.000,00 an die Gesellschafter-Eheleute. Die Aufarbeitung im Rahmen des Insolvenzverfahrens führte letztlich zu diesem bemerkenswerten Verfahrensergebnis und einem doch noch guten Ende für alle Beteiligten.

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